Keine fünfzig Schritte sind es für Michael Gilgen von der Haustür bis zum Waldrand. Praktisch für den Käferexperten, der sich an diesem windig-kühlen Nachmittag Ende März auf Tour begibt, um zu schauen, was hier am Dorfrand von Bangerten BE schon alles herumkrabbelt. Die Käfersaison hat noch nicht richtig angefangen. Es ist noch zu kalt, zu früh im Jahr, als dass schon etwas geschlüpft wäre. Aber, sagt Gilgen: «Es gibt viele Käfer, die überwintern, von denen finden wir bestimmt einige.»

«Carabus», fährt es Gilgen blitzartig aus dem Mund, als er die grosse Holzscheibe vom verrottenden Baumstrunk hebt. Es klingt wie ein Zauberspruch, bezeichnet aber eine Käfergruppe – die Gattung der Echten Laufkäfer. Mit ihnen kennt sich der Präsident des Entomologischen Vereins Bern, des Vereins der Insektenkundler, aus. «Für sie sind Strünke ein guter Lebensraum zum Überwintern», sagt Gilgen. In totem Holz, unter Rinden, in Astlöchern ist es windgeschützt und einigermassen warm. Das nutzen viele Käferarten, um den Winter zu überstehen.

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Gilgens erster Fund des Tages hatte das Glück indes nicht. Der daumennagelgrosse, schwarze Krabbler ist tot. «Es ist schwierig zu sagen, wie lange schon», erklärt der hauptberufliche Mikrobiologe. Denn was von einem Käfer übrigbleibt, bleibt lange auffindbar: der Panzer. Statt Knochen und Knorpel tragen Käfer nämlich ein hartes Aussenskelett, das sie vor Fressfeinden und anderen Gefahren schützt. Wie die meisten Insekten haben fast alle Käfer vier Flügel. Die vorderen, die Deckflügel, sind allerdings zu sogenannten Elytren umfunktioniert, einer harten «Motorhaube», die sich schützend über den empfindlichen Hinterflügeln verschliesst. Wer einmal einen Marienkäfer beim Abflug von der eigenen Fingerspitze beobachtet hat, weiss, wie kompliziert die hauchdünnen Hinterflügel unter diesen Deckflügeln zusammengefaltet sind. Vor dem Abheben braucht der kleine Käfer deshalb erst einmal einen Augenblick, um seinen Flugapparat startbereit zu machen.

Apropos Marienkäfer: Immer wieder, erzählt Michael Gilgen, höre er Leute Unsinn über «Himmelgüegeli» oder andere Käfer erzählen: «Schau, der hat zwei Punkte auf dem Panzer, der ist zweijährig», würden die Leute sagen. Oder über andere Käfer: «Der ist ganz klein, das ist wohl noch ein junger.» Alles Quatsch, sagt der Käferexperte, denn das harte Aussenskelett sorgt dafür, dass Käfer, einmal geschlüpft, sofort ausgewachsen sind und nicht mehr weiterwachsen können. Der Marienkäfer mit den zwei Punkten ist schlicht eine andere Art als jener mit sieben. «Ausserdem wird ein Marienkäfer niemals sieben Jahre alt.»

Acht Jahre als Larve

Inzwischen ist Gilgen ein paar Dutzend Meter tiefer im Wald. Viele Fichten stehen hier. Die wenigen Laubbäume dazwischen sind noch kahl. «Das ist ein langweiliger Wald für Käfer», sagt der Koleopterologe, wie Käferexperten in der Fachsprache heissen. «Ein Wirtschaftswald halt. Interessant wären alte Laubbäume. Eichen und Buchen.» An einer toten Lärche bricht er zielstrebig ein Stück Rinde ab, darunter kommt eine milchigweisse Larve mit kleinen Zangen am Kopf zum Vorschein. Rhagium inquisitor, der Schrotbock. Das weiss Gilgen sofort, denn auf solche Holzbewohner – sogenannte xylobionte Arten – ist er spezialisiert. «Die sind teilweise herbstreif», erklärt er. Heisst: Die Larven verpuppen sich unter der Baumrinde so, dass der Käfer im Herbst schlüpft und direkt ein heimeliges Quartier zum Überwintern hat.

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Die Bockkäferlarve, die sich nun auf Gilgens Handfläche windet, frisst sich vor dem Schlupf rund zwei Jahre lang durch das sogenannte Kambium, die «lebendige» Baumschicht zwischen Stamm und Rinde. Erst dann hat sie genug Energie gesammelt, um ihre Metamorphose durchzuführen. Andere brauchen noch viel länger. Der Hirschkäfer etwa, die grösste heimische Art, braucht sechs bis acht Jahre, bis er sämtlicheLarvenstadien durchlaufen hat. Gegen Ende dieser Zeit verpuppt sich das Tier, ähnlich wie ein Schmetterling, und kommt bald darauf völlig verwandelt als «Imago» – so nennt sich der ausgewachsene Käfer – wieder zum Vorschein. Den Grossteil seines Lebens hat er dann meist schon hinter sich: Der Hirschkäfer zum Beispiel lebt als Imago nur etwa acht Wochen lang.

Gar nicht weit von jener Lärche liegt ein Stück Baumstamm auf dem Waldboden. Käferexperte Gilgen rollt es eine halbe Umdrehung zur Seite und entdeckt sofort etwas darunter. «Schau an!», sagt er, selber etwas überrascht ob seines Fundes. «Den habe ich noch gar nicht. Also doch, aber noch nicht aus diesem Waldstück.» Es handelt sich um Carabus nemoralis, den Hainlaufkäfer, einen ordentlich grossen Käfer, vielleicht zwei Zentimeter lang. Schwarz, wie die meisten seiner Verwandten, aber mit einem hübschen violetten Schillern der Flanke entlang.

Gilgen packt den Käfer zwischen Daumen und Zeigefinger, holt einen kleinen Plastikbehälter aus seinem Rucksack und lässt den Krabbler hineingleiten. Er wird ihn mit nach Hause nehmen und fotografieren. «Dann lasse ich ihn wieder frei.» Präparierte Käfer hat Gilgen auch, ein ganzes Zimmer voll, wie er sagt.Viele selbst gesammelt, andere aus einem Nachlass. Heute beschränkt er sich meistens aufs Fotografieren, das Käfersammeln sagt ihm nicht mehr ganz so zu wie früher. Und Forschung betreibe er zurzeit auch keine mehr mit seinen Exemplaren.

Schubladenweise Käfer

Das sieht in Basel etwas anders aus. «Eine Sammlung lebt nur, wenn sie auch gebraucht wird», sagt Christoph Germann, Biologe und Kurator Biowissenschaften am Naturhistorischen Museum Basel. Er ist der Hüter eines ganz besonderen Käferschatzes, der vermutlich grössten privaten Käfersammlung der Welt: der Sammlung Georg Frey (siehe Box). Rund drei Millionen Käfer umfasst sie, schätzungsweise, wie Germann sagt. «Ganz genau kennen wir die Zahl nicht.» Und darunter sind unzählige sogenannte Typenexemplare, Referenztiere also, an denen sich Käferforscher orientieren, wenn sie Arten bestimmen, beschreiben und vergleichen wollen.

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Genau das meint Käfer-Kurator Germann auch, wenn er davon redet, wie eine Sammlung gebraucht wird. Er steht in seinem lichtdurchfluteten Büro im nicht öffentlichen Trakt des Museums und öffnet die Schranktür. Zum Vorschein kommen zwei Schubladenreihen, die bis unter die Decke reichen, gefüllt mitlauter grossen, verglasten Setzkästen mit in Reih und Glied auf Plättchen montierten und sorgfältig beschrifteten Käfern.

Germann zieht eine der Schubladen heraus, sie sieht alt aus, ihr Boden ist rissig. «Mit diesen Exemplaren arbeite ich gerade», sagt der Entomologe. Er sei daran, die Funde einer neuen Exkursion mit den über hundertjährigen Käfern aus der Sammlung Frey abzugleichen. Sehen die Arten noch gleich aus? Gibt es neue Funde? Was ist verschwunden? Bei Käfern ist das eine endlose Arbeit. Immerhin handelt es sich bei ihnen um die artenreichste Ordnung im ganzen Tierreich. Rund 350 000 Käferarten sind bisher bekannt, jede vierte Tierart weltweit ist ein Käfer.

Derartige Arbeiten stehen nicht nur in Basel an, weltweit spannen Entomologinnen und Käferforscher zusammen und tauschen sich nicht nur in Sachen Know-how aus, sie führen auch einen regen Postverkehr mit toten Käfern. «Die Wälder in Brasilien, die für Sojaplantagen gerodet werden, sind ein gutes Beispiel», sagt Christoph Germann. «Wir haben in unseren Sammlungen Exemplare aus Wäldern, die es schon lange nicht mehr gibt. Diese Käfer sind in der Natur vermutlich ausgestorben.» Und so kommen immer wieder Forschende aus Brasilien auf das Museum zu und fragen nach Käfern aus der Sammlung Frey, die sie mit ihren neuen Funden abgleichen möchten.

«Viele Menschen reden Unsinn über Käfer. Marienkäfer mit sieben Punkten sind nicht sieben Jahre alt!»

Michael Gilgen

«Wir haben eine gute Fotoanlage», sagt Kurator Germann. Sie macht schichtweise Bilder, damit am Ende der ganze Käfer scharf abgebildet ist.» Oft reiche das, um damit zu arbeiten. «Es gibt aber auch Fälle, in denen man das Tier selber in der Hand halten muss, um es eindeutig zu bestimmen.» Dann müssen die Forscher eben nach Basel fliegen – oder der Käfer nach Brasilien. Das birgt ziemliche Risiken. «Wir haben es nicht selbst in der Hand, wie vorsichtig die Post mit diesen Päckchen umgeht.» So gibt es durchaus Länder, die für ihren ruppigen Zustelldienst berüchtigt sind. In die versucht das Museum Lieferungen zu vermeiden. «Da versuchen wir, die Pakete Berufskollegen mitzugeben, die ohnehin in die Region reisen.»

Die Sammlung Georg Frey
Der bayrische Textil-Industrielle Georg Frey (1902–1976) sammelte nicht nur zeitlebens Käfer, er kaufte auch andere Sammlungen auf und häufte so im Laufe der Jahre mehr als zweieinhalb Millionen Käfer an. Nach seinem Tod entbrannte ein jahrzehntelanger Erbschaftsstreit: Freys Witwe Barbara wollte die Sammlung loswerden und nach Basel verkaufen, der Freistaat Bayern wollte sie nicht hergeben und erklärte sie kurzerhand zum Kulturerbe. Nach langem Hin und Her kam die Sammlung schliesslich 1997 nach Basel. Der Öffentlichkeit ist sie zurzeit nicht zugänglich, sie lagert in einem Depot in Münchenstein BL, wo Führungen gebucht werden können. Das Naturhistorische Museum Basel erhält allerdings in den nächsten Jahren einen Neubau im Stadtteil St. Johann. Dort soll die Sammlung Frey, wie auch die anderen Käfersammlungen, prominenter platziert werden.

Käfer sind zwar heikel zum Verschicken, aber dankbare Tiere zum Präparieren. In unseren Breitengraden muss man nicht viel mehr machen, als sie abzutöten und trocknen zu lassen, danach bleiben sie fast ewig erhalten. In den Tropen sieht das etwas anders aus, erzählt Käferexperte Germann: «In feuchtwarmem Klima muss man grössere Käfer ausnehmen und idealerweise mit einem Ofen trocknen. Sonst fangen sie an zu schimmeln und stinken dann furchtbar.»

Ethylacetat ist das von Forschenden bevorzugte Lösungsmittel, das den Käfern ein rasches Ende bereitet. «Anschliessend lässt man sie 24 Stunden liegen, bis die Totenstarre vorbei ist», erklärt Germann, «dann kann man sie gut präparieren.» Kleinere Käfer werden meist nicht aufgespiesst, sondern bäuchlings auf kleine Kartonplättchen geklebt. «Wichtig ist, dass es ein ablösbarer Leim ist, falls jemand die Unterseite studieren möchte.» Und dann werden sie beschriftet, so genau wie möglich. «Heute verwenden wir Koordinaten, früher war man da etwas weniger genau», sagt Kurator Germann und schaut sich ein Rüsselkäfer-Beispiel aus der Frey-Schublade an: «Istrien, Gassner, Brioni», steht darauf. «Da muss man oft etwas Detektivarbeit anwenden.» Brioni ist eine kleine Adria-Inselgruppe in Istrien, im heutigen Kroatien. «Und dieser Gassner war der Sammler, der den Käfer gefunden hat.»

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Das heutige Know-how ist ein anderes als dasjenige von vor fünfzig oder gar hundert Jahren. «Georg Frey hat die Käfer gut konserviert», sagt Christoph Germann. Mit einem Aber: «Das weisse Pulver am Schubladenboden ist pures Lindan.» Ein Insektizid, das Schädlinge von der Sammlung fernhält. Denn die grössten Feinde von Käfersammlungen sind andere Käfer, insbesondere die sogenannten Museumskäfer. Winzige, unscheinbare Tiere aus der Familie der Speckkäfer, die in Museen schon oft verheerende Schäden angerichtet haben, weil sie sich durch Käfersammlungen geknabbert haben. «Sie können sich auch in ganz trockenen Verhältnissen schnell vermehren, während die meisten anderen Tiere Mühe damit haben.» Das mache sie besonders gefährlich für Museen. Da half Lindan durchaus. Nur ist es eben auch krebserregend. Heute wird es nicht mehr verwendet, die alten Sammlungsstücke bleiben aber so, wie sie sind. «Wenn wir damit arbeiten, verwenden wir Handschuhe und Schutzmasken.»

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Oft geht es um Schädlinge

Die Sammlung ist zwar riesig, aber bei Weitem nicht die einzige Käfersammlung von Hobby-Koleopterologen. Im Gegenteil: Käfersammeln war mal richtig sexy. «Oft waren es Pfarrer, die neben der Arbeit Zeit hatten, sich mit den spannenden Geschöpfen auseinanderzusetzen», sagt Christoph Germann.

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Germann erklärt, was Frey von vielen anderen Sammlern unterschied: «Er war nicht nur ein Schönsammler, dem nur grosse und schillernde Käfern gefielen. Er kannte sich richtig gut aus.» So habe er auch «nichtssagende Rüsselkäfer» gesammelt, wie diejenigen in der Schublade auf Germanns Schreibtisch, und geschaut, dass sie bestimmt und bearbeitet wurden. «Georg Frey wusste genau, wie wertvoll dieses Material für die Wissenschaft ist.» Die Rüsselkäfer sind übrigens auch Germanns Spezialgebiet, deshalb, so sagt er grinsend, darf er sie auch «nichtssagend» nennen. Ihm sagen sie genug; die rund 1100 heimischen Arten kennt er alle.

Wenn mit Käfern geforscht wird, geht es oft um Schädlinge. Der Buchdrucker, ein Borkenkäfer, der unsere Fichten absterben lässt. Der Kartoffelkäfer, der unsere Felder kahl frisst. Der Asiatische Laubholzbockkäfer, der bis vor wenigen Jahren unsere Laubbäume bedrohte. Wenn es ans Portemonnaie geht, können Käferforscher mit ihrer Expertise Existenzen retten. Insbesondere, wenn es sich um eingeschleppte Arten handelt und um die Frage, wie sie denn zu bremsen sein könnten.

«Es ist immer eine Frage der Perspektive, wer ein Schädling ist und wer nicht.»

Christoph Germann

Hier ist der Kartoffelkäfer ein gutes Beispiel, wie Christoph Germann erzählt. «Er kommt aus der Familie der Blattkäfer, da gibt es eine Auswahl von etwa 20 Arten, die sich alle sehr ähnlich sind.» Erst als Experten letztlich genau bestimmen konnten, um welche Art es sich beim eingeschleppten Schädling genau handelte und woher er stammte (es war der Colorado-Kartoffelkäfer), konnte man sich in seiner alten Heimat umschauen und herausfinden, welche natürlichen Gegenspieler er dort hat und wie er am effizientesten bekämpft werden kann.

Import-Käfer gegen Import-Kuhfladen

Wird von Käfern gesprochen, fällt oft rasch das Wort «Schädling». Ein Wort, das Christoph Germann nicht sonderlich gefällt. Er findet: «Das ist immer unsere Sicht, wer ein Schädling ist und wer nicht.» Und meistens Käferplagen seien ein handgestricktes Problem: «Wenn wir einen Speicher voll Getreide haben und den Kornrüssler reinlassen, dann sagt der natürlich ‹merci vielmal› und vermehrt sich entsprechend. So ein Angebot findet er in der Natur nie.»

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Dort, in der Natur, im Wald ob Bangerten, ist Michael Gilgen nach wie vor unterwegs auf der Suche nach Larven und Käfern, die den Winter überstanden haben. Auch er mag nicht von Schädlingen sprechen, vielmehr möchte der Koleopterologe eine Lanze für seine Lieblingsinsekten brechen: «Ohne Mistkäfer würde die Welt im Kot versaufen», sagt er und hat gleich das passende Beispiel parat: «Australien musste extra Mistkäfer importieren, als man Kühe hingebracht hatte.» Die einheimischen Arten waren sich gerade einmal gewohnt, ein paar Känguru-Häufchen wegzuputzen, mit Kuhfladen seien sie völlig überfordert gewesen. Also habe man eine Mistkäfer-Putzkolonie aus Afrika eingeflogen.

Auf dem Waldweg vor sich sieht Gilgen ein paar halbfrische Pferdeäpfel. Er zerkickt einen davon, innendrin glänzt er noch feucht. Gilgen geht auf die Knie, um genauer hinzuschauen. «Der ist ja voll davon!», staunt er. «Dungkäfer. Aphodius prodromus.» Tatsächlich muss man ziemlich gut hinschauen, um die kleinen Käfer zu sehen, die hier dutzendweise an der Arbeit sind, schwarz auf braun. Ihr Lebensraum mag zwar etwas eklig erscheinen, aber er ist ein kleines Paradies: schön warm, gut geschützt, nahrhaft und ein perfekter Platz zur Eiablage für die Käfer.

Geheimtipp: blühende Büsche

Das zweite Paradies für Käfer ist Aas. Michael Gilgen kramt sein Handy hervor und lässt sich ein Foto anzeigen, auf dem es von Käfern nur so wimmelt. Ein buntes Sortiment an Aaskäfern, die er mit einem toten Vogel in einen Behälter gelockt hat. Überall, wo etwas stirbt, sind bald Käfer am Werk. So zuverlässig, dass sich sogar Kriminalbeamte auf sie verlassen, wenn es beispielsweise darum geht, den Todeszeitpunkt einer Leiche zu bestimmen. Die Käfer beschleunigen auch die Zersetzung. Ohne sie wären unsere Wälder pure Minenfelder, überall würden tote Organismen monatelang vermodern und ringsherum Krankheiten verbreiten.

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Und dann wäre da noch frisch geschlagenes Holz, das dritte Paradies, zumindest für den Käfersuchenden, wie Gilgen einer ist. «Es gibt viele Arten, die sich nur in den Baumwipfeln entwickeln. Die findet man nur, wenn gerade ein Baum frisch gefällt wurde.» Das braucht entweder Glück oder Einblick in die Agenda des Forstbetriebs. Aber auch anderswo lässt sich gezielt nach Käfern suchen. Etwa daheim im Garten: «Wer sein Gartenbeet umgräbt, findet zurzeit gerne Junikäferlarven», sagt der Experte. «Und im Kompost findet man oft Rosenkäfer- oder ganz selten sogar Nashornkäferlarven.» Noch einen Tipp hat er für den Frühling: «Die grösste Trefferquote hat man, wenn es Blüten hat.» Hartriegel, Schneeball, Doldenblütler. «Dort hat es immer viele Käfer drauf, die übrigens auch mithelfen, die Pflanzen zu bestäuben.»

Wieder am Waldrand angelangt, entdeckt Gilgen eine schmale Pappel mit Verdickungen an den Ästchen, die jeder Laie einfach übersieht. «Das sind die Gallen vom kleinen Pappelbock», sagt er. Die Weibchen, erklärt der Käferkenner, ritzen mit ihren Mundwerkzeugen ein Loch in den Ast und legen ein einzelnes Ei ab, das sich darin entwickelt. Irgendwann, nach zwei Jahren, hat sich die Käferlarve dann sattgefressen, schlüpft und knabbert sich aus dem Astinneren nach draussen.

Gilgen knipst einen der Äste ab, um ihn mit nach Hause zu nehmen. «Es ist spannend, so ein Stück Holz reinzunehmen und zu schauen, was daraus schlüpft.» Grundsätzlich aber, sagt der Koleopterologe, sollte man den Wald möglichst in Ruhe lassen. Wer will, dürfe gerne mal auf Käfersuche gehen, ein paar Baumstämme umdrehen und etwas Rinde von toten Bäumen ablösen, um zu schauen, was sich dahinter verbirgt. «Man sollte aber nicht zu viel kaputtmachen und sich auf das Beobachten konzentrieren.»