Der Bartgeier mag das prominenteste Opferbleihaltiger Jagdmunition sein, aber auch Mäusebussarde greifen zuweilen beikontaminierten Tierkadavern zu und vergiften sich damit.

ausgewachsene Greifvögel fehlen aufgrund von Blei-vergiftungen

E isenhaltiges Essen mag gesund sein. Bleihaltiges hingegen, für diesen Schluss braucht es keinen Lebensmittelexperten, ist es nicht. Und doch nimmt jeder Mensch tagtäglich winzigeMengen Blei in sich auf. Durch Zigarettenrauch, beim Malen oder Streichen mit alten Farben, aber auch durch ganz und gar unsündige Tätigkeiten. So sind fast überall auch im Trinkwasser und in der Atemluft Spuren von Blei auszumachen.

Diese winzigen Bleipartikel lagern sich insbeson-dere in den Knochen ab, der Organismus verwechselt sie mit Kalzium. In zu hohen Konzentrationen sorgt Blei so für einen Mangel an ebendiesem Kalzium, führt zu Nieren- und Leberschäden oder zu Nervenkrankheiten. Die Mengen an Blei, die in unseren Körpergelangen, sind jedoch in der Regel verschwindend klein, Grund zur Sorge ist meist nicht angebracht.

Problematisch wird es allerdings bei übermässigem Konsum von Wildfleisch, das mit bleihaltiger Jagd-munition geschossen wird. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV schreibt: «Wenn Wild mit bleihaltiger Munition erlegt wird, die sich beim Aufprall verformt oder zersplittert, bleiben winzige Munitionsreste im geschossenen Tier übrig.»

Die Durchschnittskonsumentin isst rund dreimal im Jahr eine Portion Wildfleisch. Das ist laut BLV kein Problem, doch bei Kindern unter sieben Jahren, Schwangeren sowie stillenden Frauen empfiehlt das Bundesamt, vorsichtshalber ganz auf Wild zu verzichten: «Bei Föten, Säuglingen und Kindern bis zu sieben Jahren kann eine erhöhte Bleibelastung zu Nervenschäden, zu Störungen der Hirnfunktionen und zur Beeinträchtigung der Intelligenz führen.»

Geierbestände wachsen nur langsam

Doch wir Menschen sind nicht die Einzigen, die unter bleihaltiger Munition zu leiden haben. Bartgeier sind besonders betroffen. Das Problem bei diesen grossen Aasfressern beschreibt die Stiftung Pro Bartgeier in einem Merkblatt zum Thema: «Bartgeier fressen primär Knochen von verendeten Tieren. Zur Verdauung dieser Nahrung haben sie selbst für Greifvögel ausgesprochen saure Magensäfte, die die Bleiaufnahme begünstigen.» Dazu komme, dass sie sich im Vergleich zu anderenVögeln langsam fortpflanzen und erst spät geschlechtsreif werden. Ein vergifteter Geier fällt so besonders schwer ins Gewicht, weil die Bestände in den Alpen nach wie vor nur langsam steigen.

Der Bartgeier ist aber nicht der einzige Vogel, der von Bleivergiftungen betroffen ist. Eine neue Studie zeigt das eindrücklich auf: Das Team um Rhys Green von der Universität Cambridge hat mehr als 3000 tote Adler, Habichte und Bussarde aus ganz Europa untersucht und kommt zum Schluss, dass mindestens 55 000 ausgewachsene Greifvögel aufgrund von Bleivergif-tungen fehlen.

Zwar jagen Adler & Co. ihre Beute meist selber, aber auch sie greifen gerne mal zu, wenn ein frischerKadaver herumliegt oder ein angeschossenesTier geschwächt dem Jäger entkommt. Besondersbetroffen sind laut der Studie Seeadler und Steinadler, deren Bestand ohne bleihaltige Jagdmunition heute 14 beziehungsweise 13 Prozent höher wäre, als er tatsächlich ist. Bei Mäusebussarden fehlen zwar nur 1,5 Prozent, das sind aber durch die grossen Bestandeszahlen insgesamt mehr als 20 000 Tiere.

Die Schweizerische Vogelwarte hat 2015 eineähnliche Studie für die Schweizer Alpen durchgeführt. Dazu wurden die Organe von toten Steinadlern und Uhus untersucht. Die Auswertungen, durchgeführt vom Institut für Rechtsmedizin der Uni Zürich und dem Tierspital Zürich, zeigten bei drei Steinadlern Symptome einer akuten Bleivergiftung. Insgesamt seien die Bleiwerte in den Adlerknochen rund zehnmal höher gewesen als bei den Uhus. Grund dafür: Uhus fressen kaum Kadaver, Steinadler schon.

Damit konnten die Forschenden auch den oft eingeworfenen Einwand entkräften, das Blei sei ganz natürlich und stamme aus dem Boden. Es gibt zwar durchaus bleihaltige Böden im Bündnerland, aber das Blei, das die Adler vergiftet hat, stammt «mit grösster Wahrscheinlichkeit» aus Jagdmunition. Denn, schreibt die Vogelwarte: «Die Signatur des in den Steinadler-knochen gefundenen Bleis stimmte mit derjenigen aus der Jagdmunition überein, nicht aber mit jener aus Bodenblei.»

Jagdverband ist für Umstellung

Nun ist es nicht so, dass Jägerinnen und Jäger jedes Jahr Tausende von Rehen, Hirschen und Steinböcken halbpatzig anschiessen und davonhinken lassen, nein. Die Männer und Frauen in Grün sind in aller Regel treffsicher und gründlich. Das Problem ist aber, dass sie das erlegte Wild oft direkt im Wald ausnehmen. Das ist notwendig: Bleiben die inneren Organe zu lange in der Bauchhöhle des toten Tiers liegen, machen sie das übrige Fleisch ungeniessbar. Diesen sogenanntenAufbruch überlassen die Jägersleute oft der Natur – und damit den Aasfressern im Tierreich. Zum Problem wird das eben dann, wenn im Aufbruch noch Blei steckt.

Dank eines allgemeinen Umdenkens in der Jägergemeinschaft tut sich allmählich etwas. Viele Jägerinnen und Jäger stellen freiwillig auf bleifreie Munition um. Das tönt nach einer Selbstverständlichkeit, ist es aber nicht, denn bleihaltige Munition ist eigentlich ziemlich genial. Das Metall lässt sich leicht verformen, was dazu führt, dass es bei einem Treffer im Körper des Tiers aufpilzt und zersplittert. Das führt zu einem Schock und meistens zu einem sehr raschen und schmerzfreien Tod.

Ohne bleihaltige Jagdmunition würden heute 14 Prozent mehr Seeadler leben.

Bleifreie Munition hingegen ist in der Regel etwas härter und braucht darum etwas mehr Wucht, um sich zu verformen. Ältere Gewehre kriegen diese oftmals nicht hin. Ältere Jäger, die auf ihre langjährigen Schiesseisen vertrauen, wehren sich deshalb ehergegen eine Umstellung. Insgesamt steht die Jägerschaft aber offiziell für eine Umstellung ein: «Die Jagd- und Fischereiverwalter-Konferenz sowie JagdSchweiz empfehlen den Jägerinnen und Jägern diesen Schritt mit Überzeugung», schreiben die beiden Organisationen in einem eigens dafür publizierten «Ratgeber für die Umstellung auf bleifreie Munition».

Und wo es nicht freiwillig passiert, wird nunallmählich mit Gesetzen nachgeholfen. Im Kanton Graubünden ist bleihaltige Jagdmunition seit 2021 verboten. Appenzell Ausserrhoden und Wallis ziehen 2024 und 2025 nach, andere dürften folgen. Ein Schritt, den auch die Jagdorganisationen begrüssen. Sieschreiben: «Die Umstellung auf bleifreie Jagdmunition ist in vielen Fällen möglich und aus Gründen dergeringeren Umweltbelastung äusserst sinnvoll.